Auch falsche Erinnerungen sind wirkliche Erinnerungen
Was verstehen wir unter Erinnerung? Wie wir in den Abschnitt Gedächtnis und Erinnerung und Erinnern und Vergessen lernen, werden Inhalte des Arbeitsgedächtnisses nach einer Auswahl und Filterung in unterschiedlichen Hirnbereichen abgespeichert. Bei diesen Inhalten kann es sich um Erlebnisse handeln, aber auch um beliebige andere Inhalte. In der Regel wird auch die Quelleninformation, d. h. die Angabe, ob es sich um etwas Erlebtes oder vielleicht nur Vorgestelltes handelt, mit abgespeichert. Beim Vorgang der Erinnerung werden die Inhalte, die in diesem Zusammenhang an verschiedenen Stellen im Gehirn gespeichert wurden, wieder im Arbeitsgedächtnis, d.h. im Bewusstsein versammelt, also rekonstruiert. Dabei muss man sich jedoch fragen, ob diese Rekonstruktion vollständig und korrekt geschieht, oder ob vielleicht dabei auch Dinge mit abgerufen werden, die in dem ursprünglichen Zusammenhang gar nicht enthalten waren oder ob Teile davon weggelassen wurden. Wichtig dabei ist, dass Erinnerungen selbst kein Merkmal enthalten, ob sie richtig oder verfälscht sind. Soweit es sich um Erinnerungen an Erlebnisse handelt, kann die Feststellung, ob sie korrekt, verfälscht oder nicht erlebt sind, nur durch einen Vergleich mit dem tatsächlichen Erlebnis getroffen werden, soweit diese Information zugänglich ist.
Verfälschte Erinnerungen sind normal
Verfälschte Erinnerungen in diesem Sinne sind etwas ganz natürliches. Es stellt sich sogar die Frage, ob es überhaupt Erinnerungen gibt, die nicht in gewissem Maße verfälscht sind, weil allein der Zyklus von Erinnern und neu Abspeichern für Änderungen sorgt. Meist werden nur Teilinformationen der Erinnerung verfälscht. Fast jeder Mensch hat an sich selbst schon falsche Erinnerungen erlebt. Wir kennen das Erstaunen, das uns erfasst, wenn wir uns lebhaft an ein Kinderfest zum Geburtstag erinnern, daran, wer eingeladen war, in welchem Zimmer die Kuchenschlacht stattfand, und wenn wir dann zufällig auf ein Foto von diesem Ereignis stoßen, das uns unmissverständlich mitteilt: Es waren andere Kinder eingeladen, das Fest fand nicht nur in einem anderen Zimmer, sondern sogar in einem anderen Haus statt. Unsere Fantasie hat uns einen harmlosen Streich gespielt, doch das eigentliche Ereignis steht außer Frage.
Ein anderes, sehr verbreitetes Beispiel falscher Erinnerungen sind Kindheitserinnerungen, bei denen sich zeigen lässt, dass wir sie gar nicht selbst erlebt haben, oder dass sie in das Alter der kindlichen Erinnerungslücke fallen, von denen wir aber aus wiederholten Erzählungen Erwachsener wissen. Indem wir sie uns häufig und lebhaft vorgestellt haben, ging die Quelleninformation verloren, und wir haben daraus eigene Erinnerungen gemacht.
Was ist falsch an falschen Erinnerungen im Sinne dieser Website?
Wenn wir auf dieser Website von falschen Erinnerungen sprechen, meinen wir nicht solche, die zwar mehr oder weniger genau, mehr oder weniger vollständig, im Kern aber doch einem erlebten Ereignis entsprechen. Was wir als falsche Erinnerungen bezeichnen, sind solche, denen überhaupt keine erlebten Ereignisse zugrunde liegen. Dass es derartige Erinnerungen überhaupt geben kann, liegt daran, dass alles, was wir im Arbeitsgedächtnis haben, auch wenn es sich nur um Vorstellungen handelt, abgespeichert und erinnert werden kann. Falsch ist nicht die Tatsache, dass man sich daran erinnert, sondern dass die Ereignisse, an die man sich erinnert, überhaupt nicht existiert haben.
Literatur zu falschen Erinnerungen
- Schacter, Daniel: Wir sind Erinnerung, Gedächtnis und Persönlichkeit
- Kühnel und Markowitsch: Falsche Erinnerungen
- Volbert, Renate: Beurteilung von Aussagen über Traumata
- McNally, Richard J.: Remembering Trauma