Umgang mit Widersprüchen und Bestätigungsneigung

Wie gehen Menschen mit Widersprüchen um?

Wenn wir mit einem Widerspruch konfrontiert werden, müssen wir damit irgendwie fertigwerden. Die Forscher bezeichnen die Situation als kognitive Dissonanz. Die einfachste Weise, damit fertigzuwerden, ist es, sich für eine der beiden widersprechenden Seiten zu entscheiden und die andere für unwichtig oder ungültig zu erklären.

Was hat das mit falschen Erinnerungen an sexuellen Missbrauch zu tun? Eine ganze Menge, denn wenn jemand hilfesuchend in eine Psychotherapie geht und dort hört, die Symptome sprächen für einen sexuellen Missbrauch im Kindesalter, während er eine gute und positive Erinnerung an seine Kindheit hat, dann ist diese Person einer kognitiven Dissonanz ausgesetzt. Die ist auf die Dauer unerträglich, sie muss aus der Welt geschafft werden.

Nun hat der Therapierte zwei Möglichkeiten:

  • Er kann dem Psychotherapeuten vertrauen. Dann muss aber die Erinnerung an die eigene Kindheit und die Eltern umgeschrieben werden.
  • Er kann seiner Erfahrung vertrauen, dass er liebevolle und fürsorgliche Eltern gehabt hat. Dann kann er seine Therapie vergessen, denn dann ist der Therapeut jemand, dem man nicht vertrauen kann.

Da der Therapeut von seiner These in der Regel selbst überzeugt ist, wird es ihm nicht schwerfallen, einen vertrauenswürdigen Eindruck zu machen. Daher wird der Therapierte oft genug die erste Möglichkeit wählen. Wählt er aber die zweite und weist die Zumutung des Therapeuten zurück, so kommt er vom Regen in die Traufe. Der Therapeut wird sagen, dass gerade die Ablehnung des sexuellen Missbrauchs nur eine unbewusste Methode ist, der schmerzlichen Wirklichkeit auszuweichen, und damit ein erneutes Symptom für die These des Therapeuten sei. Schon sieht der Therapierte sich erneut in kognitiver Dissonanz, weil die These des Therapeuten der Struktur nach ein sich selbst beweisendes Dogma oder Axiom ist, siehe wissenschaftliche Methodik.

Will der Therapierte die zweite der obigen Möglichkeiten wählen, so ist die einzige erfolgversprechende Maßnahme, die Therapie sofort abzubrechen. Dazu sind aber die meisten Therapierten nicht bereit.

Konfabulationen zur Lösung von Widersprüchen

Zum Umgang unseres Gehirns mit Widersprüchen hat der Hirnforscher Michael Gazzaniga wichtige Erkenntnisse gewonnen, über die er in seinem Buch Die Ich-Illusion berichtet. Er arbeitete mit Split-Brain-Patienten, d. h. mit Menschen, bei denen die Verbindung zwischen der linken und der rechten Hirnhälfte operativ durchtrennt worden war, um eine schwere Erkrankung erträglich zu machen. Außerdem verwendete er bildgebende Verfahren zur Anzeige der Hirnaktivität.

Im Zuge dieser Forschungen konnte Gazzaniga in der linken Hirnhälfte ein Zentrum lokalisieren, das er als den Interpreten bezeichnet. Dieser Teil des Gehirns ist kontinuierlich damit beschäftigt, alles, was an Wahrnehmungen und Fakten auf uns eindringt, widerspruchsfrei in Einklang mit unseren Erfahrungen zu bringen. Bei dieser Arbeit aber geht dieser Gehirnmodul nicht zimperlich vor. Fehlende Informationen werden willkürlich ergänzt und Widersprüche werden durch fantasievolle Fabelgeschichten weggebügelt, die man als Konfabulationen bezeichnet. Bietet man dem Interpreten Falschinformationen an, wird er auch dazu eine Erklärung finden, die natürlich ebenso falsch ist. Wir besitzen also in unserem Gehirn einen speziellen fake-news-Generator. Die wichtige Rolle dieses Interpreten bei der Erzeugung falscher Erinnerungen liegt auf der Hand.

Ändern sich die Information oder deren Bedingungen, so neigt der Interpret dazu, an der einmal gefundenen Erklärung festzuhalten. Damit kommen wir zur Bestätigungsneigung.

Bestätigungsneigung

Bestätigungsneigung (englisch confirmation bias) ist uns allen bestens bekannt. Es handelt sich um die Neigung, eine vorgefasste Meinung im Zweifelsfalle zu bestätigen.

Wenn wir auf Tatsachen stoßen, die zu einer von uns gehegten Meinung im Widerspruch stehen, sorgt die Bestätigungsneigung dafür, dass wir unter allen Möglichkeiten, mit dem Widerspruch umzugehen, diejenige wählen, die am besten mit unserer Meinung übereinstimmt, auch wenn sie noch so unwahrscheinlich ist. Wir werden die unserer Meinung widersprechenden Möglichkeiten oft gar nicht zur Kenntnis nehmen oder sie von vornherein abzuwerten suchen.

Das liefert eine Teilerklärung dafür, dass einmal vorhandene falsche Erinnerungen an sexuellen Missbrauch so selten revidiert werden. Die falsche Erinnerung ist eine vorgefasste Meinung. Schon der Nachweis, dass Erinnerungen falsch sein können, ist eine Bedrohung dieser Meinung, noch mehr sind es alle Bestrebungen, auf falsche Erinnerungen aufmerksam zu machen. Diejenigen, die falsche Erinnerungen an sexuellen Missbrauch haben, werden alles, was in dieser Richtung geht, nicht an sich heranlassen. Oft genug werden solche Bestrebungen als kriminelle Machenschaften gewertet, die nur dazu da sind, Missbrauchstäter zu schützen. Auch neutrale wissenschaftliche Literatur zum Thema wird sorgfältig umgangen, um nicht in kognitive Dissonanz zu geraten. Siehe dazu Falsche Erinnerungen an sexuellen Missbrauch und Verbleibende Störungen nach der Trauma-Erinnerungstherapie.

Die falsche Erinnerung als vorgefasste Meinung steht meist auch im Widerspruch dazu, dass unsere Eltern alles getan haben, um uns so gut sie es vermochten aufwachsen zu lassen. Infolgedessen wird die Erinnerung an unsere Eltern abgewertet und unsere Kindheit muss die Hölle gewesen sein.

Literatur zu Widersprüchen und Bestätigungsneigung

Arbeitsweise des GedächtnissesKlinische Psychologie

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