Traumatische Dissoziation

Neben der Verdrängung gibt es einen weiteren postulierten Mechanismus, der Gedächtnisinhalte unzugänglich macht, und der eine große Rolle bei der therapeutischen Erzeugung falscher Erinnerungen an kindliche Traumata spielt, die Abspaltung oder Dissoziation.

Unter Dissoziation bezeichnet die Psychologie das Phänomen, dass eine Person nicht in der Lage ist, von ihrer Umwelt oder Teilen davon ein integriertes und gesamtheitliches Bild aufzubauen. Diese Personen können daher Vorstellungen von ihrer Umwelt haben, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten vollkommen unvereinbar sind. Da kaum ein Mensch ein wirklich einheitliches Bild seiner Umwelt hat, sind mildere Dissoziationsphänome normal und weitverbreitet. Ihre Existenz ist unumstritten. Sie spielen in den verschiedensten Kulturkreisen auf der Welt eine Rolle, und sie werden häufig in religiösem Zusammenhang oder in Verbindung mit Trancezuständen berichtet. Kontrovers und wissenschaftlich umstritten sind jedoch sind viele Fragen einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung und ihrer Verursachung.

Frühe Fälle von Dissoziation

Bereits seit 1875 wurden Fälle von Persönlichkeitsspaltung medizinisch beobachtet, 1885 erschien der erste Fall einer Person, die mehr als zwei Persönlichkeiten hatte. Die Fälle wurden damals als Fälle von Hysterie betrachtet und vielfach durch Hypnose behandelt. Es waren seltene Fälle, damals bereits umstritten. Die meisten Fälle werden von Pierre Janet im ersten Viertel des 20. Jh. berichtet, der bereits die Verbindung mit traumatischen Erlebnissen in der Kindheit vermutete. Diese frühen Fälle wurden teils sorgfältig beschrieben, hatten aber anekdotischen Charakter, für strengere wissenschaftliche Untersuchungen fehlte noch die Methodik. Die historische Entwicklung ist bei Spanos (S. 211 ff.) und sehr ausführlich bei Hacking berichtet.

Wissenschaftliche Untersuchungen zur Trauma-Dissoziation

Da es relativ seltene, aber dokumentierte Fälle von Dissoziation in unterschiedliche Persönlichkeiten mit gegenseitiger Amnesie gibt, bei denen mit Sicherheit keine Psychotherapie oder suggestive Beeinflussung eine Rolle spielte (siehe Schacter), muss man annehmen, dass Dissoziation in unterschiedliche Persönlichkeiten zu dem mentalen Repertoire gehört, über das Menschen – wenn auch vielleicht nicht jeder Mensch – von Natur aus verfügen. Insbesondere gehören dissoziative Phänomene zu den Kriterien einer Borderlinestörung, werden bei dieser Störung also häufig beobachtet. Dabei handelt es sich darum, dass Objekte (Personen oder Sachverhalte) in unvereinbarer Weise bald idealisiert und dann wieder abgewertet werden. Dabei ist der Betreffende nicht in der Lage, ein integriertes Bild dieses Objektes herzustellen. Er ist also in Bezug auf dieses Objekt gespalten, dissoziiert.

Wenn aber statt einer meist vorübergehenden Bewusstseinsspaltung in einer Psychotherapie und unter Einfluss von Suggestion und/oder Hypnose viele unterschiedliche Persönlichkeiten entstehen, dann ist das ein völlig anderes Phänomen und höchste Vorsicht am Platze, weil eine iatrogene Genese, d. h. ein Verursachung durch den Therapeuten, nicht auszuschließen ist. Bei dem massenhaften Auftreten solcher Fälle seit Mitte der 80er Jahre in den USA und später auch in Europa spricht noch eine Vielzahl weiterer, u.a. soziologischer Faktoren für eine iatrogene Ursache, siehe Entstehung der dissoziativen Identitätsstörung (DIS).

Obwohl Dissoziation in der psychotherapeutischen Literatur eine große Rolle spielt und obwohl dissoziative Störungen in den Diagnose-Katalogen DSM V und ICD 10 enthalten sind, gibt es keine methodischen Studien, die einen kausalen Zusammenhang zwischen traumatischen Erlebnissen und dissoziativen Störungen belegen. Siehe Hersen & Beidel. Wie auch die Verdrängung ist die Trauma-Dissoziation ein Mythos ohne hinreichende wissenschaftliche Fundierung. Siehe McNally, S. 159-185, S. 275.

Literatur zu Dissoziation

Emotionen, Flashbacks, KörpererinnerungenVerdrängung

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