Methoden der Trauma-Erinnerungstherapie

Was in einer Psychotherapie geschieht, weiß normalerweise nur der Therapeut und der Therapierte. Durch Berichte von Therapierten, die ihre Beschuldigungen zurückgezogen haben, durch Prozesse, in denen Therapieinhalte wesentlicher Gegenstand gewesen sind, und nicht zuletzt durch die Literatur der Trauma-Erinnerungstherapeuten selbst wissen wir jedoch sehr viel über typische Methoden dieser Therapien, die allerdings niemals einen Rückschluss auf einen Einzelfall zulassen, wenn dazu keine spezifischen Informationen vorliegen. Im Folgenden werden diese Methoden kritisch beleuchtet.

Suggestion

Da der Mechanismus einer Psychotherapie mit wenigen Ausnahmen darin besteht, mit sprachlichen Mitteln, mit Übungen oder mit anderen Einflüssen eine Veränderung im Verhalten des Patienten zu bewirken, ist Suggestion praktisch unvermeidlich. Daher stellt sich die Frage, welche Suggestionen wann legitim und wann als gefährlich abzulehnen sind. Eine klare Antwort ergibt sich aus den Grundprinzipien jeder heilenden Profession, die in dem uralten hippokratischen Eid formuliert sind. Dieser verpflichtet den Heiler, zum Nutzen seines Patienten zu wirken und Schaden von ihm abzuwenden. Suggestionen sind also so lange legitim, wie sie keinen Schaden anrichten können. Wenn aber die Gefahr besteht, dass der Patient dadurch Schaden erleidet, möglicherweise irreparablen Schaden, dann dürfen Suggestionen nicht angewendet werden.

Diese Gefahr besteht aber immer, wenn der Therapeut von Spekulationen über die Vergangenheit des Patienten ausgehend Suggestion verwendet, um Erinnerungen an diese vermuteten Ereignisse zu gewinnen. Der durch Erzeugung falscher Erinnerungen dem Patienten zugefügte Schaden ist daher meist irreparabel, weil der Patient diese Erinnerungen nicht als falsch erkennen kann. Siehe dazu den Abschnitt Kann man falsche Erinnerungen erkennen oder nachweisen?

Fragt man Therapierte danach, ob in ihrer Therapie die Suggestion sexuellen Missbrauchs in der Kindheit eine Rolle gespielt habe, so wird das häufig verneint. Das liegt daran, dass Suggestion äußerst subtil sein kann. Loftus und Mitarbeiter konnten bei Versuchen der Erinnerung an eine gezeigte Fotoserie zeigen, dass eine einfache Frage nach einem bestimmten Merkmal, das in der Fotoserie gar nicht vorhanden war, bei der Hälfte der Probanden eine falsche Erinnerung an dieses Merkmal erzeugte.

Wie Forschungen gezeigt haben, bewirken bereits geringe und oft zufällige Reize, dass die Gedanken in eine bestimmte Richtung gehen (Priming). Es genügt also eine beiläufige Erwähnung sexueller Themen, die gar nicht auf den aktuellen Fall bezogen ist, um den Gedanken an sexuellen Missbrauch vorzubahnen, ohne dass eine explizite Suggestion stattfindet.

Direkte suggestive Fragen

Ist ein Therapeut aufgrund seines (irrtümlichen) Glaubens an die Aussagefähigkeit bestimmter Symptome als Anzeichen eines erlittenen sexuellen Missbrauchs von einer entsprechenden Vergangenheit seines Klienten überzeugt, so ist es naheliegend, dass er an ihn die Frage stellt, ob er oder sie sich einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit vorstellen könne. In der Vertrauensatmosphäre der Therapie und bei der Autoritätsstellung des Therapeuten kann diese Frage bereits solche Erinnerungen hervorrufen. Das gilt insbesondere für hochgradig suggestible Personen, die auch diejenigen sind, bei denen die Methoden einer Trauma-Erinnerungstherapie sehr schnell zu falschen Erinnerungen führen. Auch das kann man aus dem Bericht Noch einmal heil davon gekommen exemplarisch erkennen.

Wie stark eine bloße Erwähnung von sexuellem Missbrauch wirkt, zeigt eine Studie aus jüngerer Zeit. Darin hat sich bei einer sehr großen Zahl von Befragten gezeigt, dass in Psychotherapien zwanzigmal so häufig eine Erinnerung an einen bis dahin nicht bekannten sexuellen Missbrauch entstand, wenn sexueller Missbrauch in der Therapie erwähnt wurde, wie wenn darüber nicht gesprochen wurde.

Ablehnung der Suggestion wird zum Symptom umfunktioniert

Bei den meisten Patienten wird eine derartige direkte Frage nicht zu falschen Erinnerungen führen. Oft wird diese Frage sogar als eine Zumutung empfunden, insbesondere, wenn der Patient davon ausgeht, eine gute und glückliche Kindheit gehabt zu haben. An dieser Stelle wird von Therapeuten, die von der Existenz verdrängter Erinnerungen überzeugt sind, die Reaktion des Patienten häufig als klassischer Abwehrmechanismus im Sinne der Psychoanalyse gedeutet: Je vehementer sich der Patient gegen die Suggestion erlittenen sexuellen Missbrauchs wehrt, desto schlimmer muss das erlittene Trauma sein. Dass diese Auffassung jeder Wissenschaftlichkeit entbehrt, weil sie alles, was der Annahme des Therapeuten widerspricht, zum Beweis für diese Annahme umfunktioniert, also einen Zirkelschluss darstellt, haben Tavris und Aronson dargelegt. Das stört aber viele Therapeuten überhaupt nicht. Bereits die Feststellung eines Abwehrmechanismus dem Patienten gegenüber ist eine erneute starke suggestive Einflussnahme. Man bedenke, dass der Therapeut ja für den Patienten der Fachmann und eine Autorität ist.

Hypnose

Ist direkte Suggestion nicht erfolgreich beim „Rückruf“ von Erinnerungen, so bietet sich Hypnose an. Hier können die Suggestionen, gegen die sich beim wachen Bewusstsein sofort der kritische Verstand des Patienten wehrt, gegeben werden, ohne dass er sich wehren kann. Es wird auf diese Weise ein Eintritt der Suggestion in tiefere Bewusstseinsschichten erreicht. Die Suggestion wirkt nach Aufheben der hypnotischen Trance nach und führt dazu, dass sich der Patient mit der suggerierten Frage befasst. Über die Wirksamkeit der Hypnose siehe den Abschnitt Hypnose und Gehirnwäsche.

Indirekte Suggestion und autosuggestive Prozesse

Die meisten Trauma-Erinnerungstherapien werden auf direkte Suggestion hin nur begrenzten Erfolg haben. Vielleicht fasst der Therapierte den Verdacht, es könnte an den Suggestionen des Therapeuten etwas dran sein, vielleicht glaubt er ein unbestimmtes Unwohlsein bei seinen Jugenderinnerungen festzustellen, doch konkrete falsche Erinnerungen werden sich auf diese Weise nur selten einstellen. Wesentlich wirksamer sind dann verdeckte Suggestionen und autosuggestive Prozesse im weitesten Sinne. Man muss dafür den Patienten dazu bringen, sich mit der Frage, ob es so etwas wie einen sexuellen Missbrauch in seinem Leben gegeben hat, intensiv auseinanderzusetzen. Und hier steht eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung und in den meisten Trauma-Erinnerungstherapien wird die eine oder andere davon verwendet.

Bereits die intensive gedankliche Befassung des Patienten mit der Frage eines erlittenen Missbrauchs hat starke autosuggestive Wirkungen, wenn sie nicht kategorisch verneint wird. Der Patient wird darüber nachdenken, und die Frage wird in ihm nicht zur Ruhe kommen. Das hat Folgen für die Wertung der tatsächlich vorhandenen Erinnerungen und für die Entstehung von Träumen, in denen diese Frage eine Rolle spielt. Kommt es aber zu Träumen, die irgendeine Beziehung zum Thema sexueller Missbrauch haben, so gestattet die Traumdeutung dem Therapeuten, dies als Beweis für seine Vermutung anzusehen.

Stärker noch wirkt die visuelle Vorstellung (Imagination) von Missbrauchsvorgängen. Sie kann ganz spontan beim Therapierten entstehen, weil er sich mit dem Thema befasst. Der Therapeut kann ihn aber auch dazu auffordern, imaginative Übungen zu machen und sich mögliche Missbrauchsszenarien vorzustellen. Die stärkste Wirkung ist von geführter Imagination zu erwarten, bei der der Patient in der Therapie dazu aufgefordert wird, mit seiner bildhaften Vorstellung dem zu folgen, was ihm der Therapeut beschreibt.

Eine andere Anleitung zur Autosuggestion ist die Aufforderung zu Schreibübungen, in denen der Therapierte alles niederschreiben soll, was ihm gerade zu einem möglicherweise erlittenen Missbrauch einfällt.

Eine besonders starke Wirkung scheint nach den Berichten von Therapierten von Gruppentherapien auszugehen, deren Teilnehmer bereits zum größeren Teil davon überzeugt sind, einen sexuellen Missbrauch erlitten zu haben. Hier kommt es gelegentlich zu einer Art Wettstreit, wer denn die schlimmsten Missbrauchserlebnisse berichten kann. Das zwingt den Therapierten zu intensivster gedanklicher Auseinandersetzung und spielt ihm in den Beschreibungen anderer Teilnehmer direkt vor, wie ein Missbrauch hätte aussehen können.

Körperarbeit

Gelegentlich wird unter den Methoden, die Trauma-Erinnerungstherapeuten anwenden, auch die Körperarbeit genannt. Es handelt sich dabei um Methoden zur Gewinnung eines Körperbewusstseins durch Achtsamkeit, Tranceerzeugung durch Körperbewegung, körperliche Entspannungsmethoden und dergleichen. Nun ist jede rein körperliche Therapie bezüglich der Entstehung falscher Erinnerungen vollkommen harmlos, soweit sie sich auf das beschränkt, was sie zu sein vorgibt. Das ist aber meist nicht der Fall und auch meist nicht beabsichtigt. Die Absicht ist, implizite Erinnerungen und Körpergefühle hervorzurufen, deren Deutung durch den Therapeuten Basis scheinbar authentischer Suggestionen ist. Dass Entspannungs- und Trancezustände bei der Körperarbeit analog zur Hypnose auch zum Platzieren von Suggestionen verwendet werden kann, sei nur am Rande erwähnt.

Bessel van der Kolk schreibt bei körperlichen Gefühlen von Körpererinnerung („the body keeps the score“). Das ist vollkommen unwissenschaftlich, was aber die meisten Therapeuten nicht stört. Immerhin ist das Buch Traumatic Stress von van der Kolk so etwas wie die Bibel der Traumatherapie. Siehe dazu den Abschnitt Emotionen, Flashbacks, Körpererinnerungen.

Suggestive Literatur

Außerordentlich häufig werden therapiebegleitende Bücher empfohlen. Insbesondere das Buch Trotz Allem von Bass & Davis spielt dabei eine große Rolle. Wer das Buch kennt, weiß, dass davon massive suggestive Einflüsse ausgehen. In 50-80% der bei False Memory Deutschland bekannten Fälle falscher Erinnerungen hat dieses Buch eine Rolle gespielt. Sollte dieses Buch vom Therapeuten als Lektüre empfohlen worden sein – was häufig der Fall ist – so erübrigt sich die Frage nach suggestivem Einfluss in der Therapie.

Meist dringt der Therapeut darauf, möglichst viele Erinnerungen an sexuellen Missbrauch zu produzieren, und zwar nicht nur gelegentlich, sondern über längere Zeit und viele Therapiesitzungen. Solch massiven suggestiven Einfluss zurückzuweisen, gelingt auf die Dauer nur wenigen.

Wie man sieht, ist der Kern der meisten Therapiemethoden, die hier erwähnt wurden, Suggestion in einer ihrer vielen Formen. Dabei gilt eine scheinbar paradoxe Regel: Je subtiler die Suggestion eingeleitet wird, desto wirksamer ist sie. Das liegt einfach daran, dass subtile Suggestionen weniger Abwehr hervorrufen und der Therapierte sich den Rest wesentlich aktiver selbst erarbeitet als dies bei fertig ausformulierten Suggestionen der Fall wäre. Es ist daher kaum verwunderlich, dass mehrfach berichtet wurde, eine Trauma-Erinnerung sei mit dem Satz „Sie haben mir ja noch gar nichts von Ihrem Vater erzählt“ eingeleitet wurde. Dieser Satz als solcher ist natürlich völlig harmlos, aber an jede Antwort des Therapierten lassen sich leicht weniger harmlose Suggestionen anschließen.

Unkenntnis der Therapeuten

Wir haben hier eine große Zahl von gefährlichen Fehlern kennengelernt, die Psychotherapeuten machen können. Selbstverständlich arbeiten diese jedoch praktisch niemals im Bewusstsein, dass ihre Arbeit eine Gefahr für die Therapierten darstellt oder darstellen kann. In der Regel glauben sie, sie tun mit diesen Therapien das Beste, was sie für ihre Patienten tun können. Dass viele Therapeuten die Gefahren nicht erkennen oder auch nicht erkennen wollen, liegt daran, dass sie entweder keine wissenschaftliche Ausbildung besitzen, oder dass sie trotz akademischer Ausbildung wissenschaftlichen Themen fernstehen. Die unwissenschaftliche Grundhaltung ist auch bei akademisch ausgebildeten Therapeuten keineswegs selten. Vielfach sind auch ideologische Fixierungen dafür verantwortlich, dass die wissenschaftliche Psychologie abgelehnt wird. Natürlich hilft ihnen die Kenntnis der wissenschaftlichen Grundlagen nicht bei der eigentlichen therapeutischen Arbeit. Sie übersehen dabei, dass diese Kenntnis ihnen helfen kann, Fehler zu vermeiden.

Im Unterschied zur Körpermedizin werden in der Psychotherapie Fragen zur belegbaren Wirksamkeit und zu Nebenwirkungen kaum thematisiert. Es gibt allerdings Bestrebungen, diesen Mangel zu beheben. So versucht das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), das sich auf medizinische Fragestellungen aller Art bezieht, auch für Psychotherapien Sicherheitsstandards zu erreichen. Empfehlungen beziehen sich unter anderem auf die Qualifikation der Therapeuten und die Definition besonderer Risiken, zu denen auch therapeutisch erzeugte falsche Erinnerungen gerechnet werden. Speziell in Deutschland ist es allerdings schwierig, derartige Sicherheitsstandards durchzusetzen, da die Gesetzgebung auch Psychotherapien durch Personen ohne wesentliche Qualifikationen auf diesem Arbeitsgebiet (z. B. durch Heilpraktiker) zulässt.

Literatur zu Methoden der Trauma-Erinnerungstherapie

Entstehung der dissoziativen Identitätsstörung (DIS)Symptome, die auf sexuellen Missbrauch hinweisen

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