Entstehung der dissoziativen Identitätsstörung (DIS)

Ein nicht ganz seltener Sonderfall der Trauma-Erinnerungstherapie ist das Entstehen der dissoziativen Identitätsstörung (DIS), so bezeichnet seit dem Diagnosekatalog DSM IV. Im DSM III hieß die gleiche Störung noch multiple Persönlichkeit. Historisch gesehen standen diese Fälle sogar ganz am Anfang der Trauma-Erinnerungstherapien.

Historische Entwicklung multipler Persönlichkeiten

Mehrfache Identitäten oder Persönlichkeitsspaltungen gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen. Die meisten derartigen Phänomene standen früher im Zusammenhang mit Trance und Riten. Als psychologische Besonderheit wurden sie in Europa bereits Ende des 19. Jahrhunderts beobachtet, siehe Trauma-Dissoziation. Der erste spektakuläre Bericht über eine multiple Persönlichkeit im Sinne dieses Abschnitts war das Buch Sybil von Cornelia Wilbur und Flora Rheta Schreiber. Es handelt von der Therapie von Sybil (wahrer Name: Shirley Mason), die im Laufe der Therapie 16 verschiedene Persönlichkeiten zeigte. Das Buch wurde von der Therapeutin Wilbur zusammen mit der Journalistin Schreiber geschrieben und erreichte eine Auflage von 11 Millionen (Angabe nach Borg-Jacobsen) und wurde verfilmt. Es markierte den Startpunkt für die folgende Epidemie multipler Persönlichkeiten und für die Trauma-Erinnerungstherapie allgemein. Gab es bis zum Erscheinen dieses Buchs weltweit etwa 50 dokumentierte Fälle multipler Persönlichkeiten, so stieg deren Zahl nach dem Erscheinen dieses Buchs im Jahre 1973 zuerst langsam, dann aber sprunghaft an und erreichte um 1990 angeblich ca. 40.000 Fälle und verlief parallel zu der Entwicklung der Trauma-Erinnerungstherapie. Die multiple Persönlichkeit wurde als Störung in den Diagnosekatalog DSM III aufgenommen.

DIS/Multiple Persönlichkeiten und Trauma-Erinnerungstherapie

Man muss DIS bzw. multiple Persönlichkeiten insgesamt in engstem Zusammenhang mit der Trauma-Erinnerungstherapie sehen, denn auch hier wird die Ursache in traumatischen Kindheitserlebnissen, insbesondere sexuellem Missbrauch, gesehen, die in diesem Fall nicht verdrängt, sondern abgespalten wurden (siehe Dissoziation). Auch hier wird das Symptom, die Aufspaltung der Persönlichkeit in mehrere Innenpersönlichkeiten, im normalen Leben praktisch nie beobachtet, sondern entwickelt sich erst in der Therapie. Dabei erinnert sich die Hauptpersönlichkeit in der Regel nicht an das hypothetische Trauma, nur die Nebenpersönlichkeiten (alters) bewahren diese Erinnerung. Es wurden in einigen Fällen angeblich Hunderte verschiedener Persönlichkeiten gefunden. Auch hier wird die Heilung darin gesucht, dass sich die Therapierten vollständig an ihre traumatische Vergangenheit erinnern. Über diese Therapien gilt alles, was zur Trauma-Erinnerungstherapie und zu falschen Erinnerungen gesagt wurde. Insbesondere liegen uns keine Fälle vor, in denen der Missbrauch tatsächlich nachgewiesen wurde.

Eine wissenschaftliche Untersuchung von Spanos zu Multiplen Persönlichkeiten kommt zu dem Ergebnis, dass es enge Beziehungen zwischen dem Verhalten von Nebenpersönlichkeiten und dem hypnotischen bzw. posthypnotischen Zustand besteht. In beiden Fällen ist nach seinem sozio-kognitiven Modell das Verhalten der betreffenden Persönlichkeiten eine zwar nicht bewusste, aber zielgerichtete Aktion, die vor allem von den Erwartungen bestimmt wird, die der Betreffende glaubt, erfüllen zu sollen.

DIS/Multiple Persönlichkeiten als iatrogenes Phänomen

Ende der 90er Jahre wurde in den USA immer klarer, dass es sich bei multiplen Persönlichkeiten fast immer um ein iatrogenes, d.h. vom Therapeuten hervorgerufenes Phänomen handelt. Dafür spricht unter anderem, dass 90% der amerikanischen Psychotherapeuten nie einen Fall von multipler Persönlichkeit gesehen hatten, während nur 1% aller Therapeuten 66% sämtlicher Multiplen therapierte (siehe Spanos, S. 234). Auch wurden mit sehr seltenen Ausnahmen die Symptome nicht vor Beginn einer Therapie, sondern erst in deren Verlauf beobachtet (siehe Ofshe, S. 318-322), was ebenfalls für eine iatrogene Genese spricht.

Für eine iatrogene Genese sprechen auch die Fallberichte ehemals multipler Personen, die False Memory Deutschland vorliegen. Dabei wurden jeweils unterschiedliche Stimmungen, unterschiedliche Haltungen der Therapierten, wie sie sich bei jedem Menschen finden, vom Therapeuten mit Namen belegt. Kam die Patientin deprimiert in die Therapiestunde, so war das beispielsweise die traurige Olga, war sie zu provozierenden Widersprüchen aufgelegt, so sprach da die pubertierende Kerstin, und wenn sie völlig hilflos erschien, dann als die arme kleine Anna. So oder ähnlich wurden die Facetten einer Persönlichkeit charakterisiert. Doch es blieb nicht bei der Benennung, sondern diese Charaktere wurden von den Therapeuten auch gezielt aufgerufen. Die Therapierten berichten über eine zunehmende Virtuosität, auf Namensnennung in den dadurch charakterisierten Zustand zu wechseln. Besonders interessant ist die Tatsache, dass dieses Gefühl, aus vielen Einzelcharakteren zusammengesetzt zu sein, sich rasch verlor, wenn aus organisatorischen Gründen die Therapie unterbrochen oder abgebrochen wurde. Die vielen alternativen Persönlichkeiten wurden wieder das, was sie ursprünglich gewesen waren: Unterschiedliche momentane Stimmungen und Haltungen, die in gewissem Maß zum Repertoire jedes normalen Menschen gehören. Diese Berichte zeigen ebenfalls eine iatrogene Entstehung dieser multiplen Persönlichkeiten auf. Ein sehr eindrucksvoller Fall- und Erfahrungsbericht findet sich in einem Aufsatz von Bianca Liebrand aus jüngster Zeit (siehe unten).

Niedergang der Multiplen-Bewegung

In den USA kam es nach steilem Anstieg zeitweise zu einem ebenso steilen Rückgang der Fallzahlen. Dabei spielte eine wesentliche Rolle, dass gerade im Zusammenhang mit multiplen Persönlichkeiten sehr häufig von satanischen Riten und Missbrauch durch Außerirdische berichtet wurde. Diese unwahrscheinlichen oder unmöglichen, niemals nachgewiesenen Vorgänge wurden auf breiter Linie als unglaubhaft angesehen, entzogen der Multiplen-Bewegung den Boden und führten zur gerichtlichen Verurteilung von Therapeuten. Dazu kam, dass das Multiplen-Buch par excellence, Sybil, als ein vorwiegend an kommerziellen Interessen orientiertes und aufgrund einer absolut unseriösen Therapie entstandenes Machwerk entlarvt wurde (siehe Nathan), dessen Autoren sowie die am kommerziellen Ergebnis beteiligte Therapierte jedoch gut von dem geschäftlichen Erfolg leben konnten.

Unter der Bezeichnung DIS lebt das Phänomen der multiplen Persönlichkeiten in den USA, aber inzwischen vor allem auch in Europa und speziell in Deutschland weiter und scheint an Häufigkeit sogar noch zuzunehmen.

Zusammenfassend kann man DIS und multiple Persönlichkeiten als einen Sonderfall der Trauma-Erinnerungstherapie mit besonderer Symptomatik betrachten, für den das dazu Gesagte, insbesondere zur Entstehung falscher Erinnerungen, ebenfalls gilt.

Literatur zu multiplen Persönlichkeiten

Was sind die Diagnosekataloge DSM V und ICD 10?Methoden der Trauma-Erinnerungstherapie

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