Emotionen, Flashbacks, Körpererinnerungen

Emotionale Erinnerungen

Die Darstellung zu Gedächtnis und Erinnerung ist noch in einem wichtigen Punkt unvollständig. Wir haben bisher von der gedächtnismäßigen Verarbeitung von Informationen gesprochen, die man sprachlich beschreiben kann, und die uns mindestens zeitweilig bewusst gewesen sind. Etwas ganz anderes aber sind Gefühle. Wir wissen vielleicht, wie wir als Schüler von anderen gehänselt wurden. Wir können die Tatsache beschreiben. Doch die Gefühle, die die Erinnerung daran noch heute in uns auslöst, sind in der Beschreibung nicht ohne weiteres enthalten, gehören aber offenbar auch zu dem, was als Erinnerung abgespeichert wurde.

Die Frage, was Gefühle sind, hat Forscher schon seit frühen Zeiten der wissenschaftlichen Psychologie beschäftigt. Die heutige Auffassung dazu wurde sehr stark von den Forschungen von Joseph Ledoux geprägt. Danach sind die Erinnerungen, die wir als emotional empfinden, von den eigentlichen Emotionen streng zu trennen. Die eigentlichen Emotionen sind nämlich körperliche Reaktionen auf bestimmte erlernte oder ererbte Reize. Sie bieten den kürzesten und schnellsten Weg vom Reiz zur Reaktion. Das ist von lebenswichtiger Bedeutung bei Gefahrensituationen. Gespeichert werden Emotionen im impliziten Gedächtnis. Den „Kurzschlussweg“ vom Reiz zur körperlichen Reaktion findet man bei allen Säugetieren und wahrscheinlich auch schon bei einfacher organisierten Lebewesen.

Die Emotion ist also die rasche Reaktion des Körpers. Sie geht einer bewussten Reaktion voraus, die erst nachträglich folgt. Eine erste Reaktion auf einen Gefahrenreiz könnte Erstarrung und ein beschleunigter Herzschlag sein. Als bewusste Reaktion könnte folgen, wie man dieser Gefahr begegnet. Das verlangt vom Gehirn aber etwas mehr Zeit. Der bewusst wahrgenommene Reiz kommt natürlich ins Arbeitsgedächtnis und wird dort mit anderen Informationen verknüpft, unter anderem auch mit den Rückmeldungen, die uns unser Körper auf die vorausgegangene Emotion gibt. Diese Rückmeldung bezeichnen wir als Gefühl. Das Gefühl ist also bereits vor der bewussten Wahrnehmung vorhanden. Was von dem gesamten Vorgang als Erinnerung abgespeichert wird, ist eine emotionale Erinnerung.

Erinnerungen mit emotionalem Inhalt scheinen besonders gut im Langzeitgedächtnis verankert zu werden. Jedenfalls sind sich alle Gedächtnisforscher darin einig, dass Erinnerungen an stark emotionale Situationen zwar unter Umständen verzerrt, aber selten vergessen werden und sogar so dominant werden können, dass sie sich dem betreffenden Individuum immer wieder ungefragt aufdrängen.

Können emotionale Erinnerungen künstlich erzeugt werden?

Aus dem Bereich der klinischen Forschung oder der Psychotherapie kommt die Behauptung, emotionale Erinnerungen könnten nicht künstlich erzeugt werden, seien also ein Beweis für die Echtheit der dahinterstehenden Erlebnisse.

Es gibt aber viele Berichte von Personen, die in einer Psychotherapie stark emotional belastete Erinnerungen „wiederentdeckten“ und trotzdem erkannten, dass es sich um falsche Erinnerungen handelte. Es handelte sich also um künstlich erzeugte emotionale Erinnerungen.

Forschungen aus neuerer Zeit zeigen Wege auf, wie das geschehen kann. Der Hirnforscher Antonio Damasio stellte die Hypothese auf, dass Gefühle auch erzeugt werden können, indem das Gehirn die körperlichen Emotionen simuliert. Er bezeichnet diesen Prozess als „als ob“-Körperschleife, eine neuronale Verbindung im Gehirn, die Gefühle so erzeugen kann, „als ob“ der Körper tatsächlich die betreffenden Emotionen dem Gehirn mitteilt. Diese Hypothese ist seitdem in vielen empirischen Untersuchungen bestätigt worden. Daher können Erinnerungen mit Gefühlen verknüpft werden, ohne dass der Körper die zugehörigen Emotionen erleidet.

Empirisch wurden emotionale Erinnerungen von Laney und Loftus (2008) in einer groß angelegten Studie untersucht. Die Forscher waren in der Lage, stark emotional belastete Erinnerungen an Ereignisse, die es nie gegeben hatte, künstlich zu erzeugen. Sie kommen zu dem Schluss, dass auch falsche Erinnerungen emotional belastet sein können. In neuester Zeit konnten die Forscher Stephen Porter und Julia Shaw nicht nur stark emotionale Erinnerungen, sondern auch Erinnerungen an eigene kriminelle Aktionen, die es nie gegeben hatte, bei einem hohen Prozentsatz der Versuchspersonen künstlich erzeugen.

Flashbacks

Der Bezeichnung Flashback liegt keine präzise Definition zugrunde. Der Ausdruck entstand bei Vietnam-Veteranen, die plötzliche und unkontrollierbare Erinnerungen an Kriegsereignisse hatten. Diese wurden als besonders intensiv beschrieben und oft so erlebt, als sei man wieder in der betreffenden Situation.

Manche Psychotherapeuten behaupten, die Existenz von Flashbacks – wie auch immer definiert – sei ein Beweis, dass deren traumatischer Inhalt auf realen Ereignissen beruht.

Die Gedächtnisforschung stützt diese These in keiner Weise. Die Forschung hat festgestellt, dass Flashbacks keineswegs immer Erinnerungen an historische Ereignisse sind. So gab es Flashbacks von Kampfsituationen bei Vietnamveteranen, die niemals an der Front waren. Schacter schreibt, dass Flashbacks oft ein Gemisch aus realen, geglaubten und befürchteten Ereignissen sind, und dass sie mehr darüber aussagen, was der Betreffende glaubt oder befürchtet, als was wirklich geschehen ist. Frankel fasst die Ergebnisse von 55 wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu Flashbacks zusammen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Flashbacks in mindestens gleichem Maße durch Imagination wie durch Erinnerungen hervorgerufen werden und dass ihr Wahrheitsgehalt zweifelhaft ist, solange es keine unabhängige Bestätigung gibt.

Was sind Körpererinnerungen?

Häufig werden in Psychotherapien angebliche Erinnerungen an sehr frühe kindliche Zeiten bis hin zur Geburt „wiederentdeckt“. Die Gedächtnisforscher sind sich jedoch sicher, dass Erinnerungen an Zeiten vor dem Ende des zweiten Lebensjahrs praktisch ausgeschlossen und vor dem Ende des dritten Lebensjahrs sehr unwahrscheinlich sind (siehe Kindliche Erinnerungslücke).

Manche Therapeuten, die so frühe Erinnerungen bei ihren Patienten „entdecken“, haben die Behauptung aufgestellt, diese Erinnerungen seien – da das Gehirn entwicklungsbedingt dazu noch nicht in der Lage sei – im gesamten Körper des Kindes gespeichert. Das ist unsinnig, denn der Körper hat außer dem Gehirn kein Organ, in dem Erinnerungen abgespeichert werden können.

Auch die Behauptung, die Erinnerung sei im impliziten Gedächtnis abgelegt, taucht in diesem Zusammenhang auf. Sie ist ebenso verfehlt, denn die Inhalte des impliziten Gedächtnisses lassen sich – wie im Abschnitt zur Gedächtnispsychologie erwähnt – nicht in Worte fassen, auch in Psychotherapien nicht.

Nichts an diesen Behauptungen hat wissenschaftlichen Charakter. Die Wissenschaft kennt keine Körpererinnerungen.

Literatur zu Emotionen, Flashbacks und Körpererinnerungen

  • Ledoux, Joseph: Das Netz der Gefühle, München 2004, ISBN 3-423-36253-7
  • Schacter: Wir sind Erinnerung, S. 334, 430
  • Fred H. Frankel: The Concept of Flashbacks in Historical Perspective (1994)
  • Laney und Loftus: Emotional content of true und false memories, (2008)
  • Antonio Damasio: Descartes‘ Irrtum, München (2004), ISBN: 9783548604435
  • Porter und Shaw: Constructing Rich False Memories of Committing Crime, Psychologi-cal Science Jan 14, 2015, 1-11
    Spanos, S. 108ff.
Hypnose und GehirnwäscheTraumatische Dissoziation

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