Haben Sie Fragen zur Zuverlässigkeit Ihrer Erinnerung?

Jahr für Jahr erreichen die Beratung von False Memory Deutschland e. V. viele Fragen zur Zuverlässigkeit des eigenen Gedächtnisses. Die Fragen stammen von Personen – in der überwiegenden Zahl Frauen – die unsicher sind, ob das, was sie im Internet gelesen haben, was man ihnen in einer Psychotherapie angedeutet hat oder was Freunde oder Bekannte ihnen sagen, zuverlässig ist. Einige der immer wieder auftretenden Fragen lauten sinngemäß:

  • Man sagt mir, meine psychischen Symptome weisen auf einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit oder ein anderes schweres Kindheitstrauma hin. Ich erinnere mich aber nicht daran und glaube eine gute Kindheit gehabt zu haben. Worauf kann ich mich jetzt verlassen?
  • Ich habe Schwierigkeiten im Leben. Ich höre immer, das müsse an einem verdrängten Trauma liegen, ich kann mich aber an nichts erinnern. Kann das sein und was sollte ich tun?
  • Ich möchte aus persönlichen Gründen eine Psychotherapie aufnehmen. Ich habe aber Bedenken, dass man mir da Dinge einredet, die nicht wahr sind. Wie komme ich zu einer Entscheidung über die Wahl des Therapeuten?

Wenn Sie diese oder ähnliche Fragen haben, beraten wir Sie selbstverständlich gerne und individuell. Doch als erste Information hier einige allgemeine Antworten. Diese beruhen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der Psychologie und speziell der Gedächtnisforschung. Sie lauten vielleicht anders als das, was Sie von manchen Psychotherapeuten hören werden, aber diese arbeiten auch nicht alle auf Grundlage zuverlässiger empirischer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Viele verlassen sich lieber auf die Interpretation ihrer eigenen Erfahrungen, wobei sie meist nicht berücksichtigen, dass sie diese Erfahrungen ja selbst beeinflusst haben – ein Teufelskreis und Zirkelschluss.

  1. Wenn Sie etwas von Symptomen hören, die angeblich für ein erlittenes Kindheitstrauma sprechen, dann müssen Sie wissen: Es gibt in der Psychologie keinen Rückschluss von Symptomen auf Ursachen. Es gibt zwar psychische Probleme, die als Folge eines Traumas auftreten können — nicht müssen —, aber alle derartigen Probleme können auch und mit vergleichbarer Häufigkeit auf Grund anderer Ursachen auftreten. Deshalb ist der umgekehrte Schluss von den Symptomen auf die Ursachen gar nicht möglich. Lassen Sie sich da nichts einreden!
  2. Wenn Sie sich an eine gute oder sogar glückliche Kindheit erinnern, dann können Sie sich darauf auch 100%ig verlassen. Denn gerade traumatische Erlebnisse, die in Ihrer Kindheit gewirkt haben könnten, würden sich nach sämtlichen Erkenntnissen der Gedächtnispsychologie besonders fest eingeprägt haben. Wenn das nicht der Fall ist, dann gab es sie auch nicht.
  3. Viele Therapeuten werden hier sagen: Diese Erinnerungen sind verdrängt und unzugänglich. Nur ist Verdrängung, jedenfalls in dieser Bedeutung, ein Vorgang, dessen Nachweis zwar in hunderten von Studien versucht wurde, der aber niemals wissenschaftlich nachgewiesen wurde. Alle Studien, die das behaupten, basieren auf wissenschaftlich nicht korrekten Untersuchungsmethoden. Verdrängung in diesem Sinn ist ein vielfach wiederholtes Märchen, das manchen Therapeuten sehr gelegen kommt, um damit zu begründen, dass fast jede Kindheit die Hölle war, und dass fast jeder dringend therapiebedürftig ist. Und wenn gar die Behauptung, man habe eine glückliche Kindheit gehabt, als Anzeichen für eine besonders schwere Verdrängung interpretiert wird, können Sie erkennen, dass sich auf diese Weise alles begründen lässt!
  4. Ihre Bedenken, zu einem Therapeuten zu gehen, der Ihnen etwas einreden möchte, sind sehr berechtigt. Sie können sich auch nicht immer bei den Berufsorganisationen der Therapeuten Hilfe holen, weil viele davon sich als Lobbyorganisationen ihrer Mitglieder verstehen, und nicht alle Mitglieder haben Interesse, wissenschaftlichen Kriterien zu genügen. Wir wollen versuchen, Ihnen einige Kriterien an die Hand zu geben, die Sie im Vorfeld einer Therapie oder auch in der Probezeit einer Therapie anwenden können:
    • Gehen Sie nur zu approbierten ärztlichen oder psychologischen Therapeuten. Es gibt sicher auch gut arbeitende Heilpraktiker, aber die haben in der Regel keine wissenschaftliche Ausbildung.
    • Folgende vier Methoden sind in Deutschland bei öffentlichen Krankenkassen zugelassen:
      1. Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie;
      2. Analytische Psychotherapie;
      3. Verhaltenstherapie;
      4. Systemische Therapie.
    • Von den ersten beiden würden wir in den meisten Fällen abraten, weil in diesen Therapien der Mythos der Verdrängung gepflegt wird. Auch die systemische Therapie, insbesondere, soweit sie von Familienaufstellungen Gebrauch macht oder auf den Erinnerungen der Therapierten (Narrativen) aufbaut, kann zu falschen Erinnerungen beitragen. Am ehesten sollten Sie sich der Verhaltenstherapie zuwenden.
    • Oft machen die Therapeuten Angaben zu ihrer Therapie. Wenn dabei das Wort „Trauma“ auftaucht, ist das ein klares Warnsignal. Obwohl es sicher auch seriöse Traumatherapien gibt, wird dabei doch oft das Trauma, das therapiert werden soll, erst erzeugt.
    • Erkundigen Sie sich über die Therapeuten oder Therapeutinnen Ihrer Wahl in der Datenbank der weißen Liste, aber auch in Bewertungsportalen wie Jameda oder Sanego. Dabei sollten es Ihnen weniger um die Bewertungen gehen, als darum, mögliche Warnsignale zu finden.
    • Versuchen Sie, Berichte von persönlichen Bekannten zu bekommen und hören sie diese kritisch. Wenn Sie so etwas hören wie „ist unheimlich gut, hat mir gleich auf den Kopf zu gesagt, woran meine Probleme liegen“, dann sollten Sie wissen: Kein seriöser Therapeut wird so etwas tun.
    • Jeder korrekt handelnde Arzt klärt seine Patienten über die Behandlung und mögliche Nebenwirkungen auf. Bei einer Psychotherapie erwarten die meisten jedoch keine Nebenwirkungen, weil ja nur Gespräche und keine physischen und meist auch keine medikamentösen Interventionen stattfinden. Das ist ein schwerwiegender Irrtum.
    • In Wirklichkeit hat jede Psychotherapie Nebenwirkungen, die auch gefährlich sein können. Lassen Sie sich deshalb die Vorgehensweise und deren mögliche Nebenwirkungen erklären. Zum Beispiel können Hypnose, alle Methoden zur „Wiedergewinnung“ fehlender Erinnerungen, Familienaufstellungen oder EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) nachweislich Pseudoerinnerungen erzeugen.
    • Jede seriöse Therapie unterliegt einer regelmäßigen Supervision. Erkundigen Sie sich deshalb, ob eine solche Supervision stattfindet und wer sie wahrnimmt. Sollte keine Supervision stattfinden, so ist das ein Warnsignal. Wenn sie stattfindet, können Sie sich über den Ruf des oder der Betreffenden ebenfalls informieren. Gegebenenfalls sollte ernsthaft über einen Therapiewechsel nachgedacht werden.
    • Wenden Sie sich einer Therapie zu, die nicht versucht, Ihnen etwas einzureden. Jede Therapie, in der (vielleicht auch nur ganz unterschwellig!) versucht wird, Ihnen Suggestionen zu möglichen Erinnerungen zu geben, sollten Sie sofort verlassen.
    • Wenden Sie sich einer Therapie zu, die nicht versucht, Ihre Vergangenheit und Ihre Erinnerung daran auszuloten. Wenn eine knappe Lebensbeschreibung in der Anamnese verlangt wird, ist das OK. Jedes Nachbohren im Sinne von „hat es vielleicht … gegeben“ ist keinesfalls OK.
    • Wenden Sie sich einer Therapie zu, die sich mit Ihren Problemen im Hier und Jetzt befasst.
    • Zu guter Letzt: Sollte sich in einer Therapie über einen längeren Zeitraum keine nennenswerte Verbesserung Ihres Wohlbefindens einstellen, dann sollten Sie sich die Frage stellen, ob diese Therapie der richtige Ansatz zur Lösung Ihres Problems ist.

Literaturhinweise

Schluss von Symptomen auf Ursachen

Erinnerung an Traumata

Verdrängung traumatischer Erlebnisse

Rolle der Verdrängung in der Psychotherapie