Witkowski, Tomasz: Shaping Psychology: Perspectives on Legacy, Controversy and the Future of the Field

Palgrave Macmillan, 1st ed. 2020 Edition (3. November 2020), ISBN-10: 3030500020,  ISBN-13: 978-3030500023

Interessantes Buch über die Krise der Psychologie.

Der polnische Psychologe Tomasz Witkowski hat 16 führende Psychologen zur Krise der Psychologie befragt. Dabei waren sich die Befragten keineswegs einig, dass es etwas gibt, was man als DIE Krise der Psychologie ansehen kann. Als wichtigstes Problem der psychologischen Wissenschaft wurde die Flut minderwertiger Arbeiten, deren Ergebnisse nicht nachvollziehbar sind, genannt. Das liegt an falschen Anreizen weil bei der Auswahl von Wissenschaftlern für Professorenposten vor allem die Zahl der Veröffentlichungen, nicht aber deren Qualität maßgebend ist.

Anmerkungen zu einigen Interviews:

Speziell auf das Thema der Trauma-Erinnerungstherapie gehen außer Elizabeth Loftus, deren Hauptthema es ist, vor allem Scott O. Lilienfeld und Carol Tavris ein. Aber es gibt eine Reihe von Beiträgen, die für dieses Thema wichtig sind, ohne dass es speziell erwähnt wird.

Jerome Kagan zeigt, dass die Auswirkungen der frühen Kindheit und das „frühe Trauma“ erheblich überschätzt werden.

Robert Plomin zeigt, dass der Einfluss genetischer Fragen, der jahrelang gegenüber Umwelteinflüssen bagatellisiert wurde, weitaus wichtiger, aber auch sehr verwickelt ist. Vor allem sind für ihn die Diagnosekataloge, auf die sich Therapeuten beziehen, pseudowissenschaftlicher Unsinn, eine Auffassung die auch von anderen geteilt wird.

Der Hirnforscher Joseph Ledoux befasst sich – schwer verständlich und teils philosophisch – mit Fragen der Evolution und des Bewusstseins. Wichtig seine Feststellung, dass es bei Arbeiten zur Löschung von Erinnerungen mehr um Modifikation der Erinnerungen geht mit dem Ziel, die Auswirkungen zu ändern.

Brian Nosek befasst sich sehr direkt mit der Krise der Psychologie als Wissenschaft. Er befürwortet unbedingte Offenheit aller wissenschaftlichen Ergebnisse und Methoden bereits in der eigentlich Studienphase.

Der Inder Vikram Patel zeigt auf, wieviel an der gegenwärtigen klinischen Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie kulturell-westlich determiniert ist. Aus seiner Arbeit in Entwicklungsländern weiß er, dass viele dieser Arbeiten weit besser in den Händen von Sozialarbeitern oder Krankenschwestern mit einer praktischen Ausbildung aufgehoben wären. Psychoanalyse ist für ihn Scharlatanerie.

Daniel Kahnemann steht der klinischen Psychologie sehr kritisch gegenüber, weil sie meist ihre Ergebnisse per Intuition gewinnt, statt auf wissenschaftlich statistische Weise, ein Problem, das auch andere hervorheben.

Das Buch ist nicht leicht zu lesen, manche Beiträge sind für Laien unverständlich. Insgesamt aber gibt es einen recht guten Überblick über die aktuellen Themen der forschenden Psychologie.