München 2019, ISBN 978-3-570-55402-9
Ein gut geschriebenes und wissenschaftlich einwandfreies Buch über so ziemlich alles, was das Gedächtnis betrifft. Insbesondere wird das Gedächtnis hier in weitem Sinn aufgefasst. Es geht nicht nur um das, was wir als bewusstes Gedächtnis kennen, sondern auch um die ungeheure Menge von Gedächtnisfunktionen, die nicht bewusst sind. Zum Teil sind diese von Natur aus gar nicht für ein Bewusstsein geplant, ein erstaunlich großer Teil aber war irgendwann einmal bewusst, wurde aber durch Training und häufige Benutzung so „umprogrammiert“, dass diese Funktionen rasch abrufbar sind, ohne unser beschränktes Bewusstsein zu belasten. Die neurologischen Grundlagen werden ausführlich besprochen, doch sind sie im Zusammenhang mit falschen Erinnerungen weniger von Interesse. Besonders interessant dürfte aber in diesem Zusammenhang ein Kapitel über das Vergessen sein, in dem auch darauf eingegangen wird, wie man traumatische Erinnerungen (vielleicht) therapeutisch einem Vergessen zuführen kann, wobei auch in der EMDR-Methode eine mögliche, aber wissenschaftlich kaum fundierte Funktionsweise erwähnt wird. Es gibt in diesem Buch viel Lesenswertes, wenn auch in einer großen Breite, die nicht jedermanns Sache ist.
Für Leser, denen das Thema der falschen Erinnerungen sehr wichtig ist, ist es aber enttäuschend, wenn in diesem Buch mit dem Untertitel „Wie unsere Erinnerungen bestimmen, wer wir sind“ falsche Erinnerungen nur beiläufig behandelt werden. Sie werden fast nur im Zusammenhang mit den Experimenten zur absichtlichen und wissenschaftlichen Erzeugung falscher Erinnerungen von Elizabeth Loftus oder Julia Shaw gestreift. Nichts über die Gefahren oder über die therapeutische Entstehung falscher Erinnerungen. Nichts darüber, was es bedeutet, wenn „falsche Erinnerungen bestimmen, wer wir sind“. Wie wir wissen, ist diese Thema gesellschaftlich dermaßen brisant, dass dies ein klares Manko des Buches ist.