Hacking, Ian, Multiple Persönlichkeit: Zur Geschichte der Persönlichkeit in der Moderne

München 1996, 414 Seiten, ISBN 3-446-18745-6

Außerordentlich fundierte und differenzierte, aber auch sehr distanzierte und keineswegs leicht lesbare Untersuchung eines Philosophen zum Thema der multiplen Persönlichkeit.

Als Philosoph ist Hacking nicht Partei in der Zeit der „memory wars“, er steht an der Seite und kommentiert die Ereignisse. Er zeigt die
historischen Entwicklungslinien auf und versucht zu verstehen, was eigentlich vor sich geht. Zwar hält er mit seiner Kritik an fraglichen oder unmöglichen Therapiemethoden und deren Voraussetzungen nicht hinterm Berge, doch eigentlich gilt sein Interesse am ehesten der philosophisch-moralischen Frage, wie es ist, eine multiple Persönlichkeit zu sein. Und für ihn ist weniger von Bedeutung, dass die Therapeuten bei ihren Patienten falsche Erinnerungen erzeugen — denn falsche Erinnerungen gibt es ohnehin zur Genüge. Wichtig ist für ihn die tieferliegende Aussage, dass bei den Patienten ein falsches Bewusstsein erzeugt wird, etwas das „unserer besten Auffassung dessen zuwider[läuft], was es heißt, ein Mensch zu sein“.

Da das Buch Ende 1994 abgeschlossen wurde, fehlen dem Buch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der mittleren und späteren 90er Jahre, vor allem das umfassende Buch von Spanos, deren klares Ergebnis war, dass multiple Persönlichkeiten im Sinne unserer Zeit in erster Linie ein iatrogenes Phänomen sind.

Wer in dem Buch leicht verwendbare „Munition“ im Kampf gegen falsche Erinnerungen sucht, dürfte enttäuscht werden. Gute und sehr fundierte Argumente findet er aber zu Hauf, wenn auch nur in einzelnen Kapiteln. Manche anderen Kapitel des Buches leisten zur Erkenntnis über multiple Persönlichkeiten keinen nennenswerten Beitrag, sondern sind nur der Leidenschaft des Philosophen zur Breite seiner Begründungen geschuldet. Angesichts der erheblichen philosophischen Verständnishürden, die der Autor aufbaut, ist das Buch allerdings nur Lesern zu empfehlen, die darin geübt sind, über vordergründige Argumente kritisch hinauszugehen, und die willens sind, auch weitschweifige kultur- und wissenschaftshistorische Exkurse zu lesen.