Clancy, Susan A.: The Trauma Myth

New York 2009, ISBN 978-0-465-01688-4

Das Buch ist kein Buch über falsche Erinnerungen. Es ist ein Buch über tatsächlichen sexuellen Missbrauch und dessen Folgen. Die Autorin stuft jeden sexuellen Missbrauch als schweres Verbrechen ein, an dem niemals das Opfer Schuld trägt. Die Folgen aber entsprechen nicht dem verbreiteten Trauma-Modell.

In Hunderten von exakt geplanten Fragebogen-Interviews mit Missbrauchsopfern kommt die Autorin zu der Feststellung, dass nur ein kleiner Prozentsatz der Opfer die sexuellen Übergriffe Erwachsener als Kind zum Zeitpunkt des Geschehens als traumatisch einstufte. Für die meisten gab es dabei keine Gewalt, keine Schmerzen, aber unklare Gefühle darüber, dass etwas daran nicht in Ordnung war. Insofern verweist die Autorin das gängige Modell des sexuellen Missbrauchs als schweres Trauma in den Bereich der Sage. Es trifft nur auf eine kleine Minderheit der Missbrauchsopfer zu, die einen gewalttätigen Missbrauch erlitten haben.

Die Autorin schreibt, dass sie keineswegs die Erste ist, die diese Feststellung trifft. Seit mindestens 20 Jahren findet man diese Festellung überall in der Literatur, wo Missbrauchsopfer nach ihren Gefühlen zum Zeitpunkt des Geschehens gefragt wurden, ohne dass die Traumatherapeuten das zur Kenntnis nehmen (siehe dazu Rind, Tromovitch, Bausermann, Einzelheiten dazu in McNally, S. 22 ff). Sie stuft die Trauma-Theorie als eine Erklärung aus Sicht Erwachsener ein. Die betroffenen Kinder wurden meist nicht dazu befragt.

Die eigentliche Bedeutung der Missbrauchshandlungen entging den meisten Opfern zur Kinderzeit, weil sie den sexuellen Antrieb dahinter nicht verstanden und weil die Täter in der überwiegenden Zahl der Fälle Personen waren, denen sie vertrauten oder die sie sogar liebten. Die tatsächlichen und oft schweren psychischen Folgen entstanden erst später, nämlich wenn die Betroffenen verstanden, was zur Zeit des Missbrauchs eigentlich mit ihnen geschehen war. Es kam dann zu einer Umwertung der Geschehnisse.

Was die Autorin aber besonders hervorhebt: Das in der Öffentlichkeit und unter Psychotherapeuten übliche Trauma-Modell des Missbrauch schädigt die Opfer zusätzlich, da sie sich fragen, ob sie selbst „in Ordnung“ sind, wenn sie nicht als traumatisch empfunden haben, was doch offenbar ein Trauma hätte sein sollen, und die sich Gewissensbisse machen, dem Missbrauch nicht Einhalt geboten zu haben.

Nur an einer Stelle des Buches werden falsche Erinnerungen erwähnt: Wenn ein Opfer sich plötzlich erinnere, einen subjektiv oder objektiv traumatischen Missbrauch erlebt zu haben, dann sei es wahrscheinlich eine falsche Erinnerung.

Die Bedeutung dieses Buches für Fälle falscher Erinnerungen an sexuellen Missbrauch ist, dass es der Einstufung und Behandlung von Missbrauchsproblemen als postraumatisches Belastungssyndrom weitgehend den Boden entzieht.