Borg-Jacobsen, Mikkel, Making: Minds and Madness: From Hysteria to Depression

Cambridge 2009, ISBN978-0-521-71688-8

Der Autor ist Professor für Französisch und vergleichende Literaturwissenschaften, doch seine eigenen Bücher und Arbeiten befassen sich mit Psychiatrie und Psychotherapie von einem philosophisch-historischen Standpunkt aus. Das vorliegende Buch ist nur scheinbar eine Geschichte der Psychiatrie. Es verbirgt sich dahinter ein überaus aktuelles Buch zu psychiatrischen Moden und Artefakten. Und da das Buch sich aus Essays zusammensetzt, die zum größten Teil in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts geschrieben wurden, spielen die Moden und Artefakte dieser Zeit eine dominierende Rolle.

Das Buch stellt hohe Ansprüche an den Leser, da der Autor sich nicht mit oberflächlichen historischen Betrachtungen zufrieden gibt und schon einleitend feststellt, dass die psychischen Störungen selbst kein zeitlich invariantes „Material“ der Psychiatrie oder Psychotherapie sind, sondern in enger Wechselwirkung zwischen kulturellen Faktoren und herrschenden psychologischen Theorien und psychiatrischen Praktiken erst gebildet werden.

Der Autor stellt die grundsätzliche Frage, ob es eine kausale Beziehung zwischen psychischem Trauma und späteren psychischen Symptomen gibt und stellt diese Kausalität in Frage. Schon bei Charcots Hysterie stellten Zeitgenossen fest, es seien mehr Charcots Theorien, die die Patienten beeinflussten, als tatsächliche Traumata. Von Charcot führt die direkte Linie zur frühen „recovered memory therapy“ von Freud und dessen Verführungstheorie, der der Autor ein eigenes Kapitel widmet.

Mit einem Kapitel über multiple Persönlichkeiten geht der Autor auf das Buch Sybil und dessen Entstehung ein, welches die Epidemie der multiplen Persönlichkeiten einleitete. Er entlarvt dieses Buch als ein Machwerk, dessen Entstehung im Laufe der Zeit immer mehr die Therapie an Sybil und die Berichte darüber beeinflusste, weil es den Autoren wichtig war, dass das Buch so spektakulär wie möglich auf den Markt kam. Die Patientin selbst schwankte zwischen Rückzug und Komplicenschaft (sie war am geschäftlichen Erfolg des Buchs beteiligt!). Der Autor gibt eine Gesamtauflage von 11 Millionen dafür an!

Am Ende eines mehr theoretisch orientieren Abschnitts zeigt der Autor auf, dass die psychoanalytische Theorie so etwas wie eine selbstbestätigende These ist: Der Therapeut erklärt die Erzählungen seiner Patienten in Übereinstimmung mit dieser Theorie, jeden Widerspruch des Patienten interpretiert er als Abwehrmechanismus, der nur seine Theorie bestätigt, wobei ihn die historische Wahrheit nicht interessiert. Ist es da ein Wunder, dass die Therapieergebnisse die Theorie bestätigen? In weiteren Kapiteln über den Einfluss der Freudschen Psychoanalyse führt er aus, wie der Psychoanalytiker Interpretationen in Fakten verwandelt.

Doch der Autor beschränkt seine Auffassung von der Selbstbestätigung nicht auf die Psychoanalyse. Die radikale Kernthese des Autors ist, dass die meisten sogenannten psychischen Krankheiten oder Störungen nicht primär existent sind und durch eine Theorie beschrieben werden, sondern dass die Theorien zuerst existieren und die entsprechende Störung erzeugen.

In abschließenden Kapiteln geht der Autor unter anderem auf den „Markt“ der Psychiatrie, das „Krankheitsmanagement“ der pharmazeutischen Industrie und die von geschäftlichen Interessen bestimmte Entstehung der Diagnosekataolge ein.