Bass, Ellen, und Davis, Laura: Trotz Allem

Wege zur Selbstheilung für Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben

Berlin 1990, ISBN 3-922166-61-X

Das Buch entstand am Beginn der amerikanischen „memory wars“ und wurde in einer knappen Million Exemplare aufgelegt. Es liegt seit 1990 in deutscher Übersetzung vor. Es wird auch heute noch von vielen Trauma-Erinnerungs-Therapeuten und von Frauen-Hilfsorganisationen als Lektüre empfohlen.

Von den beiden Autorinnen ist Ellen Bass autodidaktische Psychotherapeutin und Laura Davis Journalistin. Ihr Buch hat die erklärte Absicht, missbrauchten Frauen zu helfen. Wieweit das für Fälle tatsächlichen Missbrauchs gelungen ist, sei dahingestellt.

Das Gefährliche an diesem Buch ist, dass es von den gleichen Voraussetzungen ausgeht, wie die Trauma-Einnerungs-Therapien: Jede Frau ist wahrscheinlich als Kind missbraucht worden. Sämtliche möglichen psychischen Schwierigkeiten sind Symptome dafür. Frauen, die sich nicht daran erinnern können, müssen sich nur intensiv genug darum bemühen, dann werden sie schon auf Erinnerungen an „ihren“ Missbrauch stoßen.

Einige Zitate aus dem Buch:

  • „Wenn du dich nicht an solche konkreten Geschehnisse erinnern kannst, und trotzdem das Gefühl hast, missbraucht worden zu sein, stimmt es vermutlich.“
  • „Bis jetzt hat noch keine Frau, mit der wir gesprochen haben, zuerst gedacht, sie sei vielleicht missbraucht worden, und später entdeckt, dass es doch nicht stimmte. Es läuft immer anders herum: dem Verdacht folgt die Bestätigung. Wenn du glaubst, du seist missbraucht worden, und dein Leben zeigt entsprechende Symptome, dann stimmt es auch.“

Die Symptome stehen auf einer langen Liste und sind so weit gefasst, dass es kaum einen Menschen gibt, auf den nicht mehrere dieser Symptome zutreffen. Sagt eine Frau aber: Ich bin nicht missbraucht worden, so ist auch das ein Symptom für Missbrauch, der so schmerzhaft war, dass die Frau dem Schmerz des Erinnerns unbewusst ausweicht. Damit wird Missbrauch zu einem Axiom des Buches. Es gibt Beschreibungen, mit welchen Vorstellungen, welchen Gefühlen, welchen Bildern man sich auf die Suche nach dem „verdrängten“ Missbrauch machen soll, Anleitungen zum aktiven Erinnern, z. B. in Schreibübungen, und auch diese Anleitungen sind voller Suggestionen.

Der Leser wird in diesem Buch in eine Welt geführt, in der es nur Missbrauchsopfer und Täter gibt. Für suggestible Personen, die hilfsbedürftig in eine Therapie gegangen sind, und die dieses Buch vom Therapeuten empfohlen bekommen, ist es eine nahezu sichere Anleitung, sich so oder so an einen Missbrauch zu erinnern, ganz gleich, ob das etwas mit Fakten zu tun hat oder nicht.

Dem kritischen Leser, der wissen möchte, wie es zu der Hysterie der „memory wars“ und zu massenhaften falschen Erinnerungen kommen konnte, sei das Buch zur Information empfohlen. Er wird schon nach kurzer Zeit verstehen, worin die große Gefahr dieses Buches und dessen Unseriosität besteht.