Gerichtsurteile und Rechtsfragen

Für rechtliche Hinweise lesen Sie auch in unserer Infothek unter „Rechtliches“ die Beiträge „Die rechtlichen Folgen einer Missbrauchsbeschuldigung“ und unser Merkblatt „Recht“ für Betroffene.

Medienanfrage zu Justizirrtümern

False Memory Deutschland erhielt kürzlich die folgende Anfrage:

Ich bin freie Journalistin aus Xxx und schreibe für Yyy einen Bericht über das Thema Justizirrtümer in Deutschland. Es geht darum, die Öffentlichkeit auf Sachverhalte aufmerksam zu machen, die von den Massenmedien vernachlässigt werden – ich denke, Justizirrtümer gehören da definitiv dazu und deswegen würde ich gerne darüber aufklären.

Ich bin bei meiner Recherche zufällig auf False Memory e.V gestoßen. Da Sexualstraftaten die Art von Straftaten sind, bei der es am häufigsten zu Verurteilungen von unschuldigen Personen kommt, könnten Sie interessant für meine Recherche sein.

Haben Sie irgendwelche Informationen dazu, wieso es so häufig dazu kommt, dass Unschuldige wegen einer sexuellen Straftat beschuldigt und dann auch verurteilt werden, die sie gar nicht begangen haben? Mich interessiert alles zum Thema Justizirrtümer, und ich bin für jede noch so kleine Information dankbar.

Ich hoffe, Sie können mir dabei helfen, dafür zu sorgen, dass dieses Thema nicht länger zu den Vernachlässigten gehört.

Hier unsere Antwort:

  1. Die erste Frage ist, wieso Unschuldige beschuldigt werden. Die meisten der Beschuldigten, die wir nach sorgfältiger Prüfung für unschuldig halten, werden von eigenen Kindern oder nahen Angehörigen beschuldigt, die erst im Erwachsenenalter aus beliebigen Gründen eine Psychotherapie aufgenommen haben. Da sie von den Psychotherapeuten Hilfe erwarten, sind sie sehr anfällig für alle Suggestionen. Allein, wenn die Möglichkeit eines sexuellen Missbrauchs als Problemursache seitens der Therapeuten nur erwähnt wird, steigt die Möglichkeit, dass sich falsche, also nicht erlebnisbedingte Erinnerungen bilden, dramatisch an, wie Wissenschaftler gezeigt haben. Noch schlimmer wird es, wenn die betreffenden Therapeuten der (in keiner Weise wissenschaftlich belegten) Meinung sind, dass bestimmte psychische Symptome auf einen erlittenen Missbrauch hindeuten, an den sich der Patient erinnern müsse, um geheilt zu werden. Dann wird solange gebohrt, und der Patient beschäftigt sich solange mit dieser Frage, bis irgendwann nach und nach falsche, nicht erlebnisbasierte Erinnerungen an sexuellen Missbrauch entwickelt werden, von denen der Betreffende aber fest überzeugt ist. Andere Gründe für die Beschuldigung sind bestimmte psychische Störungen bei den Beschuldigern, insbesondere die Borderline-Störung. Ein weiterer, nicht ganz seltener Grund sind absichtliche Falschbeschuldigungen im Zuge von Trennungs- und Sorgerechtsstreitigkeiten, verbunden mit Einflussnahme auf die Aussagen von kleinen Kindern.
  2. Die nächste Frage ist, warum die Beschuldigten auch verurteilt werden. Das hat seinen Grund meistens in einer nicht sachkundigen Verteidigung. Da es sich bei diesen Fällen praktisch immer darum handelt, dass Aussage gegen Aussage steht, wobei der einzige Zeuge gleichzeitig das angebliche Opfer ist, ist die Beurteilung des Gerichts zur Glaubwürdigkeit der Beschuldigung entscheidend. Hier muss vom Verteidiger unbedingt und möglichst bereits vor Anklageerhebung ein psychologisches Aussagegutachten angefordert werden, das in den oben beschriebenen Fällen fast immer zum Ergebnis kommen wird, dass die Aussage wahrscheinlich oder auch nur möglicherweise nicht erlebnisbasiert ist. Dann wird in der Regel keine Verurteilung erfolgen bzw. es überhaupt nicht erst zur Anklage kommen. Allerdings ist weder der Staatsanwalt noch das Gericht verpflichtet, einen Gutachter zu bestellen. Das Gericht muss aber dann seine eigene Sachkunde in der Urteilsbegründung dokumentieren. Wir beobachten in unserem Erfahrungsbereich, dass die Juristen inzwischen sehr sensibel geworden sind in Bezug auf die Unzuverlässigkeit von Erinnerungen, so dass es praktisch nur dann zur Verurteilung von unserer Meinung nach Unschuldigen kommt, wenn grobe Fehler bei der Verteidigung des Beschuldigten gemacht werden. Das kommt aber vor. Meist spielt dabei auch eine Voreingenommenheit bei den Strafverfolgungsbehörden und/oder beim Gericht oder die von vielen Opferschutzverbänden und auch vom unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung vertretene Haltung, man müsse den angeblichen Opfern immer glauben („believe the victims“) eine unrühmliche Rolle.

Falschbeschuldigungen in Sexualstrafsachen

Der Hamburger Anwalt Dr. jur. Sascha Böttner gibt nützliche Hinweise zum Verhalten bei Falschbeschuldigung im Sexualstrafrecht.

Aktuelle Gerichtsentscheidungen

Missbrauchsprozess von Münster – Täter wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt

7. Juli 2021: Münster ist neben Lügde und Bergisch Gladbach einer von drei großen Missbrauchsfällen der vergangenen Jahre in Deutschland. Die Verurteilung der pädophilen Angeklagten im Fall Münster hat zu Recht das gesamte Maß der deutschen Rechtsprechung ausgereizt, Verurteilung mit anschließender Sicherheitsverwahrung. False Memory Deutschland verurteilt aufs Schärfste jede Art von sexuellem Missbrauch und ist in Gedanken bei den Opfern dieser schrecklichen Vorfälle.

Späte Genugtuung für Justizopfer – Schmerzensgeld von Gutachterin

Nach jahrelangem Rechtsstreit erhält Norbert Kuß (74) nun Schmerzensgeld von der Gutachterin, die ihn mit ihrer letztlich mangelhaften Expertise ins Gefängnis gebracht hatte. Vor 13 Jahren ist er auf Grund eines mangelhaften Gutachtens wegen schweren sexuellen Missbrauchs seiner damaligen Pflegetochter zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Nach Ansicht des 4. Zivilsenats des OLG bestand nach der Ausführung des renommierten Experten Max Steller für niemanden mehr ein Zweifel, dass damals bei der Erstellung des schriftlichen und mündlichen Gutachtens «evidente, grobe Fahrlässigkeit seitens der Sachverständigen» vorgelegen habe. In dem vorangegangen Prozess hätte ein Freispruch erfolgen müssen. Fast zwei Jahre saß Norbert Kuß unschuldig im Gefängnis.

Revision gegen Urteil wegen fehlerhafter Beweiswürdigung stattgegeben

Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 20.05.2015 der Revision gegen eine Urteil des Landgerichts Gießen stattgegeben. In dem Spruch des Landgerichts war der Angeklagte zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe wegen sexuellen Missbrauchs an mehreren Personen verurteilt worden. Der BGH hob dieses Urteil in der Revision auf, weil das Gericht Widersprüche in den Aussagen der Zeugen bzw. Nebenkläger nicht berücksichtigt hatte und Pseudoerinnerungen auf Grund der Aussagenqualität der Zeugen ausgeschlossen hatte. Da aber die Zeugen psychotherapeutisch behandelt worden waren und suggestive Einflüsse nicht auszuschließen waren, und da Scheinerinnerungen nicht an der Aussagequalität erkennbar sind, stellte der BGH eine fehlerhafte Beweiswürdigung fest und verwies den Fall zur neuen Beurteilung an eine andere Kammer des Landgerichts Gießen zurück.

56jähriger Vater freigesprochen

Ein 56jähriger Vater, der sich an False Memory Deutschland gewandt hatte, wurde von seinem 30jährigen Stiefsohn aufgrund falscher Erinnerungen zu Unrecht des schweren sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Zuerst erpresste ihn sein Stiefsohn zur Zahlung eines erheblichen Geldbetrags. Als der Vater nicht willens war, zu zahlen, verklagte ihn sein Stiefsohn. Jetzt wurde er nach 16 Prozesstagen freigesprochen. Sogar der Staatsanwalt hatte Freispruch beantragt.

80jähriger Rentner freigesprochen

Ein 80jähriger Rentner, der von seiner Enkeltochter 12 Jahre nach den angeblichen Vorgängen erstmalig des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde, hatte sich an False Memory Deutschland um Hilfe gewandt. Beratungsgespräche hatten gezeigt, dass es sich offenbar um eine Falschbeschuldigung aufgrund falscher Erinnerung handelt. FMD konnte dem Beschuldigten einen in diesen Fragen versierten Anwalt nennen, der seine Verteidigung übernahm. Am 10. Januar 2014 wurde der Rentner freigesprochen. Die heute 23jährige Enkelin leidet unter einer psychischen Störung. Sie verwickelte sich in der Gerichtsverhandlung so sehr in Widersprüche, dass sogar der Staatsanwalt Freispruch beantragte. Berichte über den Prozess erschienen im Westfalen-Blatt am 19.12. und 21.12.2013 sowie am 11.01.2014.