Die rechtlichen Folgen einer Missbrauchsbeschuldigung

von Rechtsanwalt Jürgen Zillikens, Brilon

Wird einem Menschen sexueller Missbrauch vorgeworfen, so wird die für den Tatort zuständige Ermittlungsbehörde, also die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Verdächtigen einleiten. Die Ermittlungsbehörde ist zunächst einmal nicht verpflichtet, den Verdächtigen von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens in Kenntnis zu setzen. Erst vor Anklageerhebung besteht nach dem Gesetz die Verpflichtung, den Verdächtigen zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Es ist also durchaus möglich, dass monatelang die Staatsanwaltschaft und deren Hilfsorgan, die Kriminalpolizei wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs ermitteln, ohne dass dies dem Verdächtigen bekannt gemacht wird.

Bei einem dringenden Tatverdacht und insbesondere bei einem Verdacht auf schweren sexuellen Missbrauch von Kindern oder einer schweren Vergewaltigung erfährt der Verdächtigte allerdings von dem gegen ihn gerichteten Verdacht durch eine möglicherweise angeordnete Hausdurchsuchung oder gar seine Verhaftung.

Hausdurchsuchungen werden des Öfteren angeordnet, weil die Ermittlungsbehörde sich das Auffinden von Beweismaterial (Datenträgern, Film- bzw. Videoaufnahmen etc.) davon verspricht. Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungsperson angeordnet werden. Im Zuge der Durchsuchung können auch bewegliche Gegenstände beschlagnahmt und in polizeiliches Gewahrsam genommen worden. Auch dies nur aufgrund richterlicher Anordnung oder bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft muss sich dann innerhalb von einer Woche die gerichtliche Bestätigung der Beschlagnahmeanordnung besorgen.

Besteht dringender Tatverdacht und besteht ein Haftgrund in Form von Fluchtgefahr oder Verdunklungsgefahr, so kann die Staatsanwaltschaft bei Gericht den Erlass eines Haftbefehls beantragen. Bei schweren Sexualdelikten und dringendem Tatverdacht kann die Staatsanwaltschaft auch ohne Fluchtgefahr und Verdunklungsgefahr den Erlass eines Haftbefehls beantragen, wenn die Gefahr begründet ist, dass der vermeintliche Täter vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen wird. Insoweit droht gerade beim Verdacht des schweren sexuellen Missbrauch Untersuchungshaft.

Zivilrechtliche Folgen

Bei Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs zu Lasten des Verdächtigen durch dessen Ehepartner oder Lebensgefährten oder dessen Kind droht oftmals die sofortige Trennung und auch die Einleitung eines Scheidungsverfahrens. Sexueller Missbrauch begründet auch den Tatbestand der Härtefallscheidung; die Ehe kann dann bereits vor Ablauf des ansonsten vorgeschriebenen Trennungsjahres sofort geschieden werden.

Gegen den verdächtigen Elternteil wird in der Regel auch ein Sorgerechtsentziehungsverfahren beim zuständigen Familiengericht eingeleitet werden, wenn ihm vorgeworfen wird, ein aus der Beziehung hervorgegangenes Kind sexuell missbraucht zu haben. Entscheidend ist das Wohl des Kindes. Die Familiengerichte warten hier in der Regel nicht erst den Ausgang eines möglichen Strafverfahrens gegen den beschuldigten Elternteil ab, sondern übertragen zumindest vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht an den das Kind vermeintlich schützenden Elternteil, womöglich auch vorläufig das komplette Sorgerecht.

Der Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, hat normalerweise das Recht auf Umgang mit dem Kind. Sobald aber ein Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erhoben wird, schränken die Gerichte auf Antrag des anderen Elternteiles dieses Umgangsrecht in der Regel ein bzw. setzen Umgangskontakte komplett aus, bis strafrechtlich die Sache geklärt ist.

Gerade ein Umgangsausschluss kann zu einer Entfremdung führen und die Bindung zum Kind erheblich beeinträchtigen. Es gab zwar einmal eine Entscheidung eines Familiengerichts, wonach bis zur endgültigen Klärung des Vorwurfs hinsichtlich eines sexuellen Missbrauch dem verdächtigen Elternteil dennoch Umgang mit dem Kind des vermeintlichen Opfer gewährt wurde. In der Regel schließen die Gerichte aber sofort den Umgang aus oder schränken ihn jedenfalls erheblich ein, indem sie den Umgang nur begleitet zulassen.

Wichtig: Auch Großeltern und Geschwister haben nach dem Gesetz ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser Umgang dem Wohl des Kindes dient. Wird der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen den Großvater oder die Großmutter erhoben, so wird ein Familiengericht erst recht nicht bereit sein, Umgang des Kindes mit den Großeltern anzuordnen.

Insbesondere bei Anordnung von Untersuchungshaft wird der Verdächtige oder die Verdächtige ihren Arbeitsplatz voraussichtlich verlieren. Häufig droht auch der Verlust der Wohnung, wenn der Vorwurf bekannt wird.

Vorgehen, wenn die Vorwürfe bekannt werden

a) strafrechtlich

Sobald der Beschuldigte von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erfährt, sollte er einen Rechtsanwalt mit seiner Verteidigung beauftragen. Dieser sollte, sobald wie möglich, Akteneinsicht in die Ermittlungsakte beantragen. Die Staatsanwaltschaft ist allerdings nicht verpflichtet, sofort Akteneinsicht zu gewähren, muss sie aber in jedem Falle vor Anklageerhebung gewähren. Es kann also je nach Umfang der Ermittlungen Wochen oder Monaten dauern, bis dem Verteidiger Akteneinsicht in die Ermittlungsakte gewährt wird.

Ob nach Akteneinsicht schon im Stadium des Ermittlungsverfahrens eine sogenannte Einlassung, also Stellungnahme des Verdächtigen gegenüber der Staatsanwaltschaft erfolgt, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. In Fällen, wo aus Sicht des Verteidigers offensichtlich eine Falschbeschuldigung vorliegt, sollte nach meiner Auffassung sobald wie möglich eine umfassende Stellungnahme abgegeben werden. Zwar hat der Beschuldigte grundsätzlich das Recht zu schweigen und viele Verteidiger empfehlen deshalb zumindest bis zur Eröffnung des Strafverfahrens keine Angaben zu machen. Bei dem Verdacht der Falschbeschuldigung ziehe ich es aber vor, der Staatsanwaltschaft eine sogenannte Schutzschrift, also eine Einlassung des Verdächtigen zu präsentieren. Nur so kann man auf mögliche Ungereimtheiten bei der Aussage des vermeintlichen Opfers hinweisen bzw. das Augenmerk der Staatsanwaltschaft auf Schwachstellen bei der Aussage des vermeintlichen Opfers hinlenken. Es lässt sich dann auch eher eine Anklageerhebung bei Gericht verhindern.

Wenn noch nicht geschehen, sollte man die Staatsanwaltschaft dazu bringen, zu klären, wann, bei welcher Gelegenheit und in welcher Form die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs erstmals aufgetaucht sind.

In der Praxis hat es sich bewährt, ggf. schon im Ermittlungsverfahren die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens zu beantragen, nachdem man zunächst die Staatsanwaltschaft auf Aussagedefizite ausführlich hingewiesen hat. Die Staatsanwaltschaften greifen nach meiner Erfahrung diese Anregung durchaus auf, vor allem dann, wenn Zweifel bestehen an der Glaubwürdigkeit der Angaben des oder der Beschuldigenden.

Eine Gegenanzeige gegen den Beschuldigenden wegen falscher Verdächtigung hilft dagegen in der Regel nicht weiter, da die Staatsanwaltschaft erst einmal das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs abschließen wird.

b) Zivilrechtliche Abwehrmaßnahmen und Schadenersatzansprüche

Schadenersatzansprüche wegen materieller und immaterieller Schäden

Es kommen in Betracht materielle und immaterielle Schäden, die die zu Unrecht Beschuldigten erlitten haben.

Zu den materiellen Schäden können Kosten für die Verteidigung im Strafverfahren bei nachgewiesener Induzierung gehören, ferner z.B. Verdienstausfall oder Mehrkosten für eine Arztbehandlung aufgrund erlittener Gesundheitsschäden durch die Falschbehauptung.

Unterlassungsanspruch

Wer gegenüber dritten Personen eine bestimmte Person des sexuellen Missbrauch beschuldigt, muss diese Behauptung unterlassen, wenn er den Wahrheitsbeweis nicht führen kann. Es muss Wiederholungsgefahr bestehen.

Zu den genannten dritten Personen gehören nicht Ärzte, Rechtsanwalt und Strafverfolgungsbehörden. Außerdem darf die Behauptung in gerichtlichen Verfahren, z.B. beim Familiengericht aufgestellt werden, ohne dass ein Wahrheitsbeweis geführt werden muss.

Umstritten ist in der Rechtsprechung, ob nicht auch der engste Verwandtenkreis zu einem geschützten Personenkreis gehört und Behauptungen hier ohne straf- und zivilrechtliche Folgen aufgestellt werden dürfen.

Widerrufsanspruch

Bei einer Klage auf Widerruf der Behauptung hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs gegen den Aufsteller der Behauptung muss der Kläger die Unwahrheit beweisen, was ihm in der Regel in Fällen des sexuellen Missbrauchs nicht ohne den Freispruch in einem Strafverfahren gelingen wird. Deshalb sind Widerrufsklagen vor Abschluss eines Strafverfahrens in der Regel nicht erfolgversprechend.

Sorge- und Umgangsrechtsauschluss verhindern

Trotz der eben aufgezeichneten Probleme in Sorgerechts- und Umgangsrechtsverfahren sollten Elternteile sich wehren gegen eine Sorgerechtsentziehung bzw. Umgangsrechtsentziehung. Denn die Bindungen zu einem Kind werden womöglich unwiederbringlich zerstört, wenn über Jahre ein Kontaktabbruch hingenommen wird.

Leider ist oftmals die Zerstörung von Familien durch Falschbeschuldigungen mit juristischen Mitteln nicht zu verhindern. Da sexueller Missbrauch – sicherlich nicht zu Unrecht – in der Gesellschaft besonders geächtet wird, sieht sich der zu Unrecht Beschuldigte oftmals an den Pranger gestellt, wird in der Verwandtschaft und im Freundeskreis gemieden und verliert fast alle Sozialkontakte. Eine solche Zerstörung von Verwandtschafts- oder Freundschaftsbeziehungen kann leider mit juristischen Mitteln oftmals nicht verhindert werden.